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Peters Radreise

Ein Kommentar von Gert Bachmann am 18.Februar 2008

Einarbeiten Links von http://ulv.univie.ac.at/cms/index.php?id=peters_radreise

Warum der kleine Peter später prinzipiell immer lieber mit dem Rad nach Rom reist…

Radreisen mit alten Rädern hatten etwas Entspannendes. Die im Rhythmus des gleichmäßigen Tretens und tiefen Atmens vorbeiziehende Landschaft ließ sich kontemplativ erleben, die Gedanken flossen frei. Frei für Ideen, frei, die Seele den Eindrücken der letzten Zeit nachkommen zu lassen, frei für Ehrlichkeit. So ähnlich müssen Humboldt oder Goethe empfunden haben, als sie Italien bereisten, Bologna und Rom. Wenn auch nicht mit dem Rad sondern zu Pferde oder im Wagen. Vielleicht war es zu Pferde sogar noch besser, denn das Pferd verlangt Achtsamkeit, es ist wie ein Freund, treu und auch nachtragend, auch egozentrische Charaktere scheuen davor zurück, es zuschanden zu reiten. Diese Achtsamkeit bereichert gleichwohl den Reiter, sie zwingt ihn zur Eile mit Weile, macht ihm den Wert der Gegenwart bewusst, zeigt ihm, dass er das Ziel der Reise nur heil und rasch erreicht, wenn er sich um den tierischen Gefährten genauso gut kümmert wie um sich selbst. Soziale Kompetenz über den Umweg des indirekten Egoismus. Der andere Reiter wird intuitiv, gewissermaßen ritterlich verstanden, erfährt er doch den gleichen Lernprozess. Vielleicht ist das der Wert der langsamen Reise. Man wird ein besserer, durch unverhoffte Erfahrungen bereicherter Mensch, wenn man sich in Richtung Ziel bewegt. Dabei ändert sich dann auch mitunter das Ziel. Der Weg ist das Ziel.

Ganz anders mit dem heutigen Rad. Man kann es zur Rennmaschine oder zum Geländerad ausbauen, es lädt zur Konkurrenz ein, und hat man keine Konkurrenten, fährt man eben gegen sich selbst, vergleicht stolz die zurückgelegten Strecken und Geschwindigkeiten. Zumindest geländegängig muss das Teil sein, denn wenn nicht schnell, dann zumindest ungemütlich, pardon, herausfordernd, muss die Fahrt sein. Auch die Körperhaltung ändert sich: saß man aufrecht am Pferde oder auf dem alten Rad, krampft man sich nun um den Lenker, buckelt bis zum Bandscheibenvorfall und tritt heftig nach unten. Das Erleben der Landschaft tritt in den Hintergrund, dass autistische Abrackern übernimmt. Und noch etwas passiert: der Gefährte Pferd wird im Übergang zum Rad zum meist als minderwertig beschimpften Radmaterial, das auch ohne weiteres weggeworfen werden kann, um ein neues, bessere zu kaufen, erlebt. Das „Beförderungsmittel“ wird alsbald als leicht ersetzbar, benutzbar, ohne Bedauern entsorgbar empfunden. All dies geht mit einer emotionalen Lehre einher, die den Wunsch nach noch höherer Effizienz und Excellenz verstärkt. Das neue Rad erfordert einen noch exakteren, aggressiveren Fahrstil, ein noch deutlicheres Buckeln nach oben und Treten nach unten. Ein Verhalten, dass deshalb als Radfahrerprinzip beschrieben wurde.

Erfolg allein genügt bald nicht mehr: Sind Rennfahrer ganz oben, können sie endlich Funktionäre werden und Regeln aufstellen. Regeln die sie selbst in dieser Form nie erfüllen mussten. Diese sehen immer so aus, dass sich die innerhalb dieser Regeln konkurrierenden kaum bewegen können, ohne jemand anderem zu schaden. Wie im Kindergarten also, beim „Reise nach Rom“ Spiel. EinEr muß ja die/der letzte sein, das kennen wir ja aus edutainement Sendungen wie „big brother“. Wie lustig,wenn das dicke Kind keinen Sessel mehr bekommt und weint! Hier unterscheiden sich die Radsportfunktionäre überhaupt nicht von Professoren österreichischer Universitäten. Und wer nicht seine Familienbande als zweitrangig eingestuft hat, nicht gescheiterte Fernbeziehungen oder kaputte Ehen hinter sich hat, kann einfach nicht excellent genug, sein. Mein Leben war hart, so das Credo der Excellentenmacher, darum muß auch das Leben der anderen „tenure track“- würdigen hart sein! Wie im Kindergarten wird schon proaktiv agiert, damit die Ausgangsposition für KonkurrentInnen schlechter wird. Man geiert sich um den Platz an der Sonne, im Vorzimmer der Mächtigen, man hat keine Achtung mehr, plustert sich auf, verunglimpft andere Fächer, bedient sich am „Studentenmaterial“: wir wollen nur die“Besten“ der Rest halte sich von Universitäten fern, oder nutze den „golden handshake“ Bakkalaureat. In der Tat scheinen sich die Rektoren der österreichischen Universitäten kaum /wirklich/ um bessere Dotation und Kooperativität oder bessere Betreuung in der Lehre zu bemühen, es will scheinen als seien sie zufrieden, sich in Konkurrenz zu /anderen/ Rektoren als erfolgreich darzustellen, auch wenn sich dies im internationalen Vergleich kümmerlich ausnimmt. Und zusätzlich wird natürlich „Reise nach Rom“ gespielt: Die „Besten“ bekommen zunächst eine kleine Belohnung damit Sie schneller laufen und sich nicht mit den „weniger erfolgreichen“ solidarisieren, ja deren Bestrafung unkritisch mittragen (Milgram Experiment). Später werden dann die letzteren WissenschafterInnen durch Unterdotation in Lehrekontingenten, Raum, Personal und Dotation in aller Stille hinausgemobbt ja ihre Fächer ganz einfach nicht nachbesetzt, so als ob ein Fach plötzlich unwichtig wäre, wenn der letzte Proponent nicht genehm war.

Da werden dann die zu geringen Ressourcen offenbar weniger kritisch gesehen. Im Zeitalter der „metrics“-Gläubigkeit werden „scientists“ (der Begriff Universitätslehrer ist wohl in dieser Schwerpunktsetzung nicht mehr angebracht) zu dauernd auf Effizienz abgeklopftem, gewissenlos aus- und abgenutztem Material degradiert. Die in diesem Umfeld verzweifelt nach oben Geschwommenen finden sich plötzlich an Positionen, für die sie zumindest sozial inkompetent sind (Peterprinzip). Verpflichtende Ausbildung in Personalführung (Management, Kommunikationstraining) für ProfessorInnen wird offensichtlich nicht für nötig befunden. Der Wille zur Kompetitivität und Nimbus der Excellenz scheinen zu genügen („hoc volo, sic iubeo, pro ratio sit voluntas - so sei es, so befehle ich´s, anstelle eines vernünftigen Grundes stehe mein Wille! “). Die Frustrationstoleranzgrenzen sind dann schnell erreicht.

Wir brauchen vielleicht kein frei zur Datenverknüpfung verfügbares RAD („verunglückte“ Research Activity Documentation an der Universität Wien bis 2010, Anm.d.Red.), und ganz sicher keine RADFahrer, die damit den Konkurrenzdruck und den distanzierten, Menschenmaterial verachtenden Stil noch stärker bereiten. Die in härtester Konkurrenz befindlichen an den Universitäten tätigen entbehren dazu ganz offensichtlich der Verantwortlichkeit und Objektivität, solch effizientes Werkzeug nur zum Guten zu nutzen. Wir brauchen vielleicht viel eher wieder Wertschätzung der traditionellen Fächer und Peers (den dieser Begriff stammt ja wohl noch aus Zeiten in denen Ritterlichkeit zu Gebote stand), die den Begriff „scientific community“ noch als Gemeinschaft der gemeinsam Lernenden und nicht als überdimensionales „Reise nach Rom“ Spiel begreifen. Benützen wir darum Datenbanken mit Bedacht, und erlauben wir keine Hintertür zur direkten Verknüpfung von „metrics“ und Stigmatisierung. Die Universitätsleitenden mögen zum Grundverständnis einer freien Universität, freien Wissenschaften und ihrer Lehre zurückfinden. Das geht allerdings nur im Dialog, nicht im Auswerten des messbaren oder zumindest messbar gemachten. Übersteigertes „controlling“ hat immer nur ins Absurde geführt und wir niemals fair ablaufen, vor allem wenn es unprofessionell ist, eine Eigendynamik annimmt und so zur Qualitätsminderung führt.

Es zeigt sich auch, dass (Qualitäts-)Controlling, wiewohl sinnvoll und nötig, kein kompletter Ersatz für die Eigenverwaltung der Fächer sein kann, da die Diversität der Fächer einfach zu groß ist, um an einem Leisten gemessen oder von Fachfremden adäquat verstanden zu werden, und ein Leitungsgremium deshalb niemals die erforderliche Kompetenz haben kann, ohne die substanzielle Mitgestaltung der Angehörigen des jeweiligen Faches richtige Entscheidungen zu treffen. In dieser Situation befinden wir uns heute leider an der Universität Wien. Die Rektoren haben sich übenrommen.

Die UG2002 Lobbyisten bedienten sich eines billigen, aber leider erfolgreichen rhetorischen Tricks: Alles, was an Demokratie gemahnte, wurde proaktiv als „Basisdemokratie, welche zwangsläufig ins Chaos führt“ stigmatisiert. Die Notwendigkeit einer „acountability“, also einer transparenten Zuweisung von Verantwortlichkeit, wurde in einer klassischen post propter Verwechslung und unter Negierung jeglicher zu Gebote stehenden Gewaltentrennung von hinten aufgezäumt zum „Zusammenführen von Verantwortung und Entscheidungskompetenz“ in den selben Personen, was in Folge zwangsläufig streng hierarchische und autokratische Strukturen erfordere. Dies wurde erfolgreich als alleinige konstruktive Alternative zu vorgeblich uneffektiven demokratischen Regulativen postuliert. Auch wurde suggeriert, nur ein „entweder, oder“ sei möglich, Kompromisse gäbe es nicht. Das Rektorat verlässt sich nun mangels demokratischer Gremien auf Vertrauensleute. Objektivität und demokratische Legitimation wurden im Vakuum des UG2002 durch Strickleitersysteme und „old boys“- Netzwerke ersetzt.

Allerdings ist diese Fehlschlusskette durch das prinzipielle Funktionieren der westlichen Demokratien längst widerlegt. So wie eine Regierung, sei es auf Ebene des States, der Länder oder Gemeinden ohne demokratische Regulative (Parlament bis Gemeinderat) nicht funktionieren kann, kann auch die Universität nicht ohne entscheidungsbefugte Kollegialorgane auskommen. Somit kann eine Universitätsleitung ohne Senat, eine Fakultätsleitung ohne Fakultätskonferenz, eine Institutsleitung ohne Institutskonferenz, eine Studienprogrammleitung ohne Studienkomission nicht auskommen. Rührige Egozentriker gewinnen sonst ohne Kontrolle durch die KollegInnenschaft unproportional an Gewicht, wie wir es seit UG02 Implementierung laufend erlebt haben. Da gibt es dann mangels Transparenz sicher keine „acountability“ mehr. Eine ausgewogene Zukunftsentwicklung ist so nicht mehr möglich.

Mit dem Killerargument der Impaktzahlen werden etablerte Fächer zunächst umgefärbt, dann still und heimlich „nicht nachbesetzt“. Die überhebliche „moderne“ Entsorgung oder Umfärbung traditioneller Fächer wird sich als einer der größten Fehler herausstellen. Es ist kaum anzunehmen, dass ein Lehrbuch der Zoologie oder Botanik bald von einem Lehrbuch über „Biodiversität“ oder „Organismische Systembiologie“ ersetzt werden wird. Solche rein künstlichen Fachbegriffe, welche im Spiel der mächtigen frei assoziativ entstehen dienen nur einem Zweck: dem Aufbau virtueller abgrenzbarer Kleinreiche, der Reise des desillusionierten alt gewordenen kleinen Peter auf dem Rad nach Rom.

Fundamentalkritik ohne Ausweg? Keineswegs! Es gibt zahlreiche, bereits oftmals von verschiedener Seite vorgetragene Möglichkeiten für Verbesserungen, welche einen starken Motivationsschub brächten:

  1. Tatkräftige Solidarisierung der RektorInnen, eine wenigstens dem europäischen Durschnitt entsprechende Dotierung der Universitäten ohne Unterlass zu fordern und sich nicht mit dem halbherzigen Lippenbekenntnis des Regierungsprogrammes abzufnden. Der Mythos der knappen Mittel ist im objektiven statistischen Vergleich mit den Nachbarländern unhaltbar.
  2. Schaffung flexibler Stellen für junge Menschen /zusätzlich/ und nicht auf Kosten des in Administration ertrinkenden Kernpersonals.
  3. Öffnung und Ausbau der Universitäten für Europa anstatt provinzieller Kontingentierung der Zugänge.
  4. Redemokratisierung der Universitäten: handlungsfähige Senate, Fakultätskonferentzen, Institutskonferenzen, und Studienkomissionen
  5. Faculty aller langfristig angestellten UniversitätslehrerInnen statt anachronistischer Hierarchie

Gert Bachmann, Betriebsrat (ULV)

P.S.; Sich mit Negativem abzufinden, ist kaum positiv oder konstruktiv, sondern nur mutlos und langfristig destruktiv.

univie/meinung/radreise.txt · Zuletzt geändert: 08.11.2017 10:44 von Christian Cenker